Neuigkeiten aus der Automotive-Branche
Software-Defined Vehicle: Netzwerktechnik als Rückgrat der Mobilität
Die Automobilbranche steht vor einem Paradigmenwechsel: Fahrzeuge werden zunehmend softwaredefiniert. Steuergeräte, Sensoren und Aktoren sind über leistungsfähige Netzwerke miteinander verbunden. Ethernet ersetzt traditionelle Bussysteme wie CAN oder LIN, Software-Updates erfolgen Over-the-Air und neue Dienste entstehen direkt im Fahrzeugnetz. Diese Transformation bringt Chancen für Innovationen, aber auch erhebliche Herausforderungen für Netzwerksicherheit, Skalierbarkeit und Stabilität.
Warum Fahrzeugnetzwerke ein kritischer Erfolgsfaktor sind
- Hohe Datenraten: Sensorfusion in Fahrerassistenzsystemen (ADAS) oder Lidar-Kameras erzeugen enorme Datenmengen. Nur Ethernet-basierte Architekturen können diese Last tragen.
- Software-Updates Over-the-Air: Funktionen wie neue Fahrmodi oder Infotainment-Features werden direkt ins Fahrzeug gespielt – Netzwerkstabilität ist hier geschäftskritisch.
- E/E-Architektur als Differenzierungsmerkmal: Hersteller unterscheiden sich zunehmend über Software und die Netzwerkarchitektur, nicht mehr nur über Motorleistung.
- Sicherheitskritische Systeme: Bremsen, Lenkung und Airbags hängen an denselben Netzwerken wie Infotainment – kompromittierte Segmente können direkt lebensbedrohlich sein.
Beispiel: 2015 zeigten Forscher in einem bekannten „Jeep-Hack“, dass über das Infotainment-System Zugriff auf Bremsen und Motor möglich war. Die Ursache: fehlende Segmentierung im Fahrzeugnetzwerk.
Besondere Herausforderungen für Automotive-Netzwerke
- Lebensdauer der Fahrzeuge: Netzwerkprotokolle müssen bis zu 15 Jahre sicher bleiben.
- Legacy-Systeme: Alte Bussysteme wie CAN-Bus sind weit verbreitet und kaum abzusichern.
- Komplexität: Hunderte Steuergeräte (ECUs) müssen zuverlässig und in Echtzeit miteinander kommunizieren.
- Regulatorischer Druck: Standards wie ISO/SAE 21434 und UNECE WP.29 verpflichten Hersteller zu Cybersecurity-by-Design.
Typische Schwachstellen in heutigen Fahrzeugnetzen
- Fehlende Netzsegmentierung zwischen sicherheitskritischen und Komfortsystemen
- Ungesicherte Over-the-Air-Update-Kanäle
- Veraltete Kryptoverfahren in Steuergeräten
- Schwache Absicherung der Diagnose-Schnittstellen (OBD-II)
Lösungsansätze: Ethernet, SDN & Zero Trust im Fahrzeug
Hersteller müssen Netzwerktechnik im Auto wie ein Unternehmensnetzwerk denken: segmentiert, verschlüsselt und überwacht.
Wichtige Maßnahmen:
- Automotive Ethernet: Einführung von TSN (Time-Sensitive Networking) für deterministische Kommunikation in sicherheitskritischen Anwendungen.
- Software-Defined Networking (SDN): Dynamische Steuerung von Fahrzeugnetzwerken zur Trennung kritischer Systeme.
- Zero-Trust-Architekturen: Jeder Zugriff im Fahrzeugnetz wird geprüft, auch zwischen internen Steuergeräten.
- Intrusion Detection/Prevention Systeme (IDPS): Echtzeit-Erkennung von Angriffen im Fahrzeugnetzwerk.
- Kryptografische Agilität: Migration zu quantensicheren Verfahren vorbereiten.
Vorteile für die Automobilbranche
- Erhöhte Fahrzeugsicherheit durch abgesicherte Steuergeräte-Kommunikation
- Schnellere Innovationszyklen dank stabiler und updatefähiger Netzwerkarchitektur
- Schutz vor Industriespionage durch abgesicherte Datenflüsse
- Compliance mit internationalen Standards (ISO/SAE 21434, UNECE WP.29)
Sicherheit als kontinuierlicher Prozess
- Regelmäßige Sicherheits-Audits für Fahrzeugnetze
- Monitoring neuer Angriffsszenarien durch Automotive SOCs (Security Operation Centers)
- Crypto-Agility-Strategien für langfristigen Schutz sensibler Fahrzeugdaten
- Schulungen für Entwickler und Zulieferer im Umgang mit Automotive-Ethernet und SDN
- Integration von Sicherheits-Tools direkt in die Entwicklungs- und Testumgebungen
Fazit: Ohne sichere Netzwerktechnik kein Software-Defined Vehicle
Die Zukunft der Automobilindustrie ist softwaregetrieben – und damit netzwerkgetrieben. Nur durch robuste, segmentierte und sichere Fahrzeugnetze können Hersteller autonomes Fahren, Over-the-Air-Updates und neue Mobilitätsdienste zuverlässig umsetzen. Die Investition in moderne Netzwerktechnik ist damit nicht nur eine IT-Frage, sondern ein strategischer Wettbewerbsvorteil.
Quellen:
ISO/SAE 21434 – Road Vehicles Cybersecurity Standard
UNECE WP.29 – Cybersecurity and Software Updates Regulation
ENISA – Cybersecurity for Connected Cars
BSI – Sicherheit vernetzter Fahrzeuge
IEEE – Time-Sensitive Networking for Automotive